Samstag, 8. Januar 2011

Interpretationsaufsatz - Der Vorleser: Seite 137-139

 Der Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink aus dem Jahr 1995 handelt von einer sehr speziellen Beziehung zwischen den beiden Protagonisten Hanna und Michael, der eine Entwicklung vom naiven, unerfahrenen Jungen zum erwachsenen, gebildeten Juristen durchlebt. Auf diesem Weg stellt sich oft die Frage, ob er die Verantwortung für Hanna übernehmen soll, da sein Verhalten, sowohl für ihn als auch für sie, immer Konsequenzen hat.

Im ersten Teil des Romans lernt Michael Hanna kennen und hat sofort ein Auge auf sie geworfen. Um ihr zu helfen kümmert er sich um die Kohlen, wobei er sich beschmutzt. Sie lässt ihm ein Bad ein und verführt ihn das erste Mal.
Es entsteht eine eigenartige Beziehung mit einem Ritual: Vorlesen, duschen, lieben, beieinanderliegen. Sie sind sich währenddessen ganz nahe und vertraut, sonst aber kommt es oft zu Missverständnissen und Streit.
Aus Angst Hanna zu verlieren nimmt Michael dann alle Schuld auf sich, damit sie sich wieder versöhnen, obwohl der oft nicht einmal das Problem versteht.
Im neuen Schuljahr lässt die Liebe immer mehr nach. Zwar erniedrigt und entschuldigt er sich weiterhin vor Hanna, hasst es aber immer mehr bis er sie verleugnet und verrät, indem er sich in der Öffentlichkeit nicht zu ihr bekennt. Er fühlt sich schlecht und schuldig.
Eines Tages ist sie ohne Vorwarnung verschwunden.
Michael fällt es schwer sie loszulassen und um über sie hinweg zu kommen stürzte er sich im zweiten Teil des Romans in die Arbeit. Deshalb schafft er das Abitur, sowie auch das Jurastudium, ohne Probleme.
In einem KZ-Prozess, den er wegen eines Seminars besucht, trifft er Hanna, die als SS-Aufseherin angeklagt ist, wieder. Sie wird von den Mitangeklagten, die in ihr ein Opfer gefunden haben, als Haupttäterin dargestellt, um sich selbst zu entlasten. Sie nutzen Hannas Verhalten aus und auch ihr Verteidiger hilft ihr in dieser Situation nur wenig.
Michael denkt viel über den Prozess nach, was dazu führt, dass bei ihm wieder das Motiv der Schuld auftaucht, da der eine Mörderin geliebt hat. Aber bei den vielen Gedanken und Erinnerungen wird ihm auch einiges klar: Hanna ist Analphabetin und kann damit auf keinen Fall die Hauptschuldige sein.
Mit einer Aussage könnte er ihr Strafe mildern, allerdings würde er auch ihre Schutzmauer, die sie über viele Jahre aufgebaut hat, durchbrechen und sie der Bloßstellung aussetzen.

In dem Abschnitt von Seite 137-139 erinnert Michael sich an das Gespräch mit seinem Vater.
Diese Textstelle besteht aus zwei Teilen, von denen der erste von S. 137 Z. 1 bis S. 138 Z. 24 geht. Sie handeln von den Ansichten und dem Verhalten des Vaters, denn Michael weiß nicht weiter. Soll er Hannas Urteil nun beeinflussen indem er eine Aussage macht, oder soll er einfach nur zusehen und ihr die Entscheidung selbst überlassen, dann würde sie allerdings eine sehr harte und ungerechte Strafe erwarten?
Zu seinem Vater hat er nie eine richtige Beziehung, erhofft sich aber dennoch Hilfe und Rat in dieser Situation. Die Metapher "Bodensatz der Erinnerung" (S. 137 Z. 3) verdeutlicht, wie weit er das Gespräch, welches er im Nachhinein als einen der wenigen glücklichen Momenten mit seinem Vater ansieht, verdrängt hat, was wiederum auf die vernachlässigte und schlechte Vater-Sohn-Beziehung schließen lässt.
Während sie sich unterhalten, wird dem Leser die ganze Zeit deutlich, wie fremd sich die beiden Männer sind, die sich eigentlich so nahe stehen sollten, was vor allem durch das Verhalten von Michael klar wird. Er überlegt genau was er sagt, bevor er antwortet und redet nicht einfach sofort los um zu sagen was er denkt und fühlt. Der Autor verwendet dafür rethorische Fragen, welche die Mauer, die zwischen Vater und Sohn steht noch dicker wirken lassen ("Erleichternd? Beruhigend? Angenehm?" S.137 Z. 18f). Der ganze Absatz von Zeile 17-22 auf Seite 137 spiegelt die Unsicherheit des jungen Mannes gegenüber seinem Vater wieder und auch die Angst, sich falsch auszudrücken oder etwas, in den Augen des Vaters, falsches zu sagen.
Wegen der Erzählform des personalen Erzählers in diesen Zeilen werden die Gedanken und Absichten, in einem inneren Monolog, noch direkter an den Leser übermittelt.

Er fragt seinen Vater und bittet ihn um Hilfe, weil er eine neutrale Meinung zu seinem Anliegen haben möchte und erhofft sich von diesem Gespräche eine schachliche und distanzierte Antwort. Aus diesem Grund sieht er ihn bei diesem Gespräch nicht als Familienangehörigen oder als Freund, sondern als Philosophen. Dies fällt ihm allerdings zu dieser Zeit nicht schwer, denn sein Vater hat scih selbst immer emotional aus der Familie zurückgezogen, was von der auktorialen Erzählweise bestätigt und unterstrichen wird. Michael hat bis nach dem Tod immer alle Gedanken an seinen Vater, das Gespräch und das fehlende Verhältnis verdrängt und kann erst danach mit den Erinnerungen eine Beziehung zu ihm aufbauen, jetzt denkt er aber "gerne an dieses Gespräch zurück" (S.13 Z.1).
Der Vater konzentriert sich ganz auf seine Philosophenrolle, und sagt deshalb als Professor, dass Michael auf keinen Fall dem Richter von Hannas Analphabetismus erzählen dürfe.
Sein Verhalten zeigt, dass er über Michael steht, die Rollen also klar verteilt sind und mehr Erfahrung und Wissen in diesem Bereich hat. Er ist von sich überzeugt und ist der Meinung, dass sich Michael an seinen Rat halten müsse. Auf seine Antwort hin, dass Michael nicht mit dem Richter sprechen dürfe, empfindet der Junge ein Gefühl was er aber nicht ausspricht und sein Vater korrigiert ihn sofort wenn er, wie in diesem Fall, nur einen unangebrachten oder, seiner Meinung nach, unpassenden Gedanken hat ("'Angenehm?' schlug mein Vater vor. Ich nickte [...] 'Nein, dein Problem hat keine angenehme Lösung...'" S. 137 Z. 23-25). Auch dies lässt auf ein gestörtes Vater-Sohn-Verhältnis schließen.
Die Metapher auf Seite 137 in der Zeile 30 ("die Augen zu öffnen"), soll Michael sagen, dass er zwar keine Aussage machen dürfe, aber trotzdem mit Hanna reden müsse. Sie drückt aber auch aus wie sehr der Vater ihn zum Handeln drängt und wie er ihm seine Meinung aufdrücken will.
Auf Seit 138 taucht wieder der innere Monolog von Michael auf. Er reicht von Zeile 4-19. Zuerst stellt er sich selbst Fragen, welche ausdrücken wie groß die Probleme sind, die er mit der Antwort des Vaters hat. Seine Unsicherheit und seine Angst vor dem Gespräch, welches er mit der Frau führen soll, die ihm jetzt so fremd vorkommt, ist so groß und er traut sich trotzdem nicht seinem Vater davon zu erzählen und seine Gedanken laut auszusprechen. Durch die personale Erzählweise bekommt der Leser einen Eindruck von seiner inneren Verfassung die er von Zeile 13-19 auch sehr deutlich formuliert. Dem Leser wird sofort unmissverständlich klar in was für einer hilflosen Lage er sich befindet.

Ab Zeile 25 auf Seite 138 beginnt der zweite Teil dieses Abschnitts. Ab dieser Stelle wird dem Vater klar, dass er seinem Sohn nicht wirklich helfen konnte ("'Ich habe dir nicht helfen können'" S. 138 Z. 25) und sieht ihn das erste Mal nicht nur als Klienten sondern als seinen eigenen Sohn. "'Als Vater [findet er] die Erfahrung, [seinen] Kindern nicht helfen zu können, schier unerträglich'" (S. 138/139 Z. 30ff). Man merkt an der Reaktion von Michael, die man wieder durch den personalen Erzähler so deutlich erfährt, dass er das Gefühl, dass sich sein Vater der Familie emotional öffnet nicht kennt, sein Vater es also an diesem Punkt das erste Mal tut.
Dennoch hätte Michael in diesem Moment mehr von ihm erwartet ("Ich fand, er mache es sich leicht;..." S. 139 Z. 3f) und ist sehr enttäuscht von seinem Vater, der zwar einen Versuch startete eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen, aber dann sofort wieder dicht macht, den Versuch abbricht und sich wieder in seine eigene Welt verzieht, die Welt ohne Familie und ohne Michael.
Die Mauer, die jetzt schon wieder massiv zwischen den Beiden steht, und die man als Leser in diesem Abschnitt so oft gesehen hat, ist im Laufe der Jahre so dick geworden, dass der Vater auch jetzt nicht hindurchdringt. Michael schenkt den Floskeln, was die wenigen wohlwollenden Worte des Vaters für ihn sind, keinen Glauben und auch der Abschied nach diesem so wichtigen Gespräch fällt sehr flach aus ("Ich glaubte ihm nicht und nickte" S. 139 Z. 13).
Für Michael ist in der Vergangenheit zu viel geschehen, als dass es für ihn, mit dieser kurzen Einsicht seines Vaters, erledigt wäre und kann deshalb die plötzliche, unerwartete Zuneigung nicht ernst nehmen.

Michaels Angst eine Aussage zu machen, hat für Hanna die Konsequenz einer lebenslangen Haftstrafe (Seite 156), was sie aber, ohne zu protestieren annimmt. Michael kann sie nie ganz vergessen und sehnt sich noch immer nach ihr. Auch seine zukünftigen Freundinnen vergleicht er mit ihr. Vielleicht wäre es ihm leichter gefallen mit ihr abzuschließen, wenn er damals, während dem Prozess, eine Aussage gemacht hätte oder wenigstens den Rat des Vaters befolgt hätte, und mit Hanna geredet hätte um ihr "die Augen zu öffen" (S. 137 Z. 30).
Ihn lässt das Gefühl der Schuld nie los.
Die Vergangenheit fesselt ihn so sehr, dass er Hanna Kassetten ins Gefängnis schickt, auf denen er vorließt, wie früher. Dies hat zur Folge, dass sie ihrer Schwäche des Analphabetismus endlich ins Auge sieht. Sie leiht sich die Bücher aus, welche Michael auf Band aufgenommen hat und lernt auf diese Weise lesen und schreiben.
Während der langen Zeit im Gefängnis hat sie sich sehr zurückgezogen und "gelebt wie im Kloster" (S. 196 Z. 12). Wäre die Strafe nicht so hart ausgefallen, wäre ihr vielleicht nie bewusst geworden, dass viele Taten mit ihrem Analphabetismus verbunden sind und wie viel sie falsch gemacht hat. Sie gewinnt in dieser Zeit sehr viel Verständnis und Einsicht. Am Ende ihrer Haftstrafe bringt sie sich selbst um und vermacht ihr gesamtes Geld Michael, der es den Überlebenden der Bombennacht geben soll, was auch aus ihrer Einsicht resultiert.

Michael hat sich weder an den Richter gewendet und eine Aussage gemacht, noch mit Hanna gesprochen, wie sein Vater es ihm geraten hat. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn trägt auch nicht positiv dazu bei, dass Michael ehrer auf ihn hört und sich seinen Rat wirklich zu Herzen nimmt. Die ganze Textstelle zeigt dies vor allem durch die Erzählformen, und lässt den Leser sehr klare Schlüsse ziehen. Als Philosophen respektiert er ihn zwar, aber als Vater versagt er auf ganzer Linie, weshalb Michael ihm nicht vertraut.

Ich finde das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, welches in dem ganzen Abschnitt zum Ausdruck kommt, sehr merkwürdig, da es nicht das typische Familienbild darstellt. Die Aussagen des Vaters jedoch finde ich sehr gut und auch richtig. Wenn Michael auf seinen Vater gehört hätte, und mit Hanna gesprochen hätte, würde er ihr ein Teil der Verantwortung abnehmen, sie allerdings nicht bloßstellen. Dies wäre zu seinem und zu ihrem Vorteil, denn er könnte ihr den richtigen Weg zeigen und würde selbst von den Schuldgefühlen, welche er auf Grund seines Verhaltens während des Prozesses ewig mit sich herumträgt, loskommen.
Ich bin sicher, dass der Vater, wenn er das Verhältnis zu seinem Sohn besser gepflegt hätte, eher zu ihm durchgedrungen wäre und ihm somit die Angst vor dem Gespräch mit Hanna hätte nehmen können.

Mittwoch, 5. Januar 2011

Homepage zu "Der Vorleser"



Im Folgenden werde ich die Homepage zu "Der Vorleser", welche von einer Gruppe der Jahrgangsstufe 11 des Ratsgymnasiums Gladbeck erstellt wurde, kommentieren.

Auf der Homepage zu "Der Vorleser" von Bernhard Schlink des Ratsgymnasiums Gladbeck wird nicht nur der Roman behandelt, sondern man findet auch Informationen zu Hintergründen, wie zu der "Beziehung zwischen Jung und Alt" oder zu den geschichtlichen Aspekten.
Michaels Beziehung zu Hanna sowie seine weiteren Beziehungen zu anderen Frauen werden kurz charakterisiert, wobei dies ein wenig oberflächlich erscheint. Außerdem wird auf die Beziehung zu seinem Vater eingegangen.
Desweiteren wird die Schuldfrage behandelt, jedoch wurde bei Hannas Anklage vergessen, dass sie schwache Frauen, die ihr vorlasen, in Schutz genommen hat. Auf der Homepage wird erwähnt, dass Hanna nicht politisch interessiert gewesen wäre und dass sie nicht gewusst hätte, was bei der SS auf sie zukommt. Dieser Aussage kann ich nicht zustimmen, da ich der Meinung bin, dass Hanna schon über die SS informiert war und nur aus Angst einer Bloßstellung wegen ihres Analphabetismus zur SS gegangen ist. Bei den Beiträgen zur Schuldfrage wird außerdem nicht genannt, dass die Tätergeneration Schuld trägt, weil die Kinder die Schuld der Eltern übernehmen (S. 163).
Auf der Homepage findet man auch einen Beitrag zum Analphabetismus, zu den KZ-Aufseher(innen), zum KZ-Alltag und zu den NS-Prozessen, wobei ich persönlich die geschichtlichen Hintergrundinformationen zu ausführlich finde.
Desweiteren wurde eine Rezension erstellt, bei der ich kritisieren würde, dass die Beziehung zwischen Hanna und Michael mit Pädophilen verglichen wird, weil Michael sich zu Hanna hingezogen fühlt.
Insgesamt finde ich die Homepage des Ratsgymnasiums gut und hilfreich, wenn man zuvor den Roman gelesen hat.

Filmkritik

Grundlage dieses Beitrags ist der Artikel der WAZ:
http://www.derwesten.de/kultur/film/Der-Vorleser-Erst-lesen-dann-lieben-id803140.html

Der Beitrag der WAZ zur Literaturverfilmung "Der Vorleser", bei welcher Stephen Daldry als Regisseur tätig war, nennt zu Beginn kurz den Inhalt des Films.
Danach wird erwähnt, dass die Dreharbeiten mit Kate Winslet in NRW bestritten wurden, aber durch Fördergelder und deutsche Schauspieler sowie Techniker konnte dieses Problem behoben werden. Nun gilt der Film "Der Vorleser" als internationale Produktion deutscher Herkunft.
Der Beitrag nennt als Kritikpunkt, dass der Film sehr zäh und kompliziert sei und dass die Handlung über einen zu großen Zeitraum erzählt werde.
Außerdem wird erwähnt, dass man im Film nur Spannung wahrnimmt, wenn man das Buch noch nicht gelesen habe. Auch die Schauspielerin Kate Winslet, die die Rolle der Hanna spielt, wird kritisiert, da sie keine Anteilnahme oder emotionale Nähe erwecke. Doch der wichtigste Kritikpunkt ist, dass man denkt, Hanna schäme sich mehr Analphabetin zu sein, als dass sie dreihundert Juden umgebracht hat.
Desweiteren wird bemängelt, dass Michael in der Literaturverfilmung als sehr unentschlossen dargestellt werde.
Insgesamt vermittelt der Beitrag der WAZ, dass der Film "Der Vorleser" über keine Vorstellungskraft verfügt und die konkrete Darstellung keine emotionale Teilnahme hervorruft.

Dienstag, 4. Januar 2011

Interpretation Teil III, Kapitel 2

In dem Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink aus dem Jahr 1995 geht es um die Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer einundzwanzig Jahre älteren Frau, Michael und Hanna. Beim ersten Lesen könnte man annehmen, dass Schuld in dem Roman eine zentrale Rolle spielt und dass die Beziehung zwischen Hanna und Michael Auswirkungen auf das gesamte Leben Michaels hat. Diese Fragen werden im Folgenden näher untersucht.

Der Roman der "Vorleser" von Bernhard Schlink handelt im ersten Teil davon, dass Michael Hanna aufgrund seiner Krankheit zufällig kennenlernt und schon bald, trotz des großen Altersunterschieds, eine Beziehung mit ihr führt. Dabei spielen bestimmte Rituale, wie vorlesen, baden, miteinander schlafen und danach aneinanderliegen eine große Rolle und werden häufig wiederholt.
Eines Tages will Michael Hanna bei ihrer Arbeit als Straßenbahnschaffnerin besuchen, was aber zum Streit führt, weil er in den hinteren Wagon einsteigt und Hanna ihn nicht beachtet. Weitere Situationen, die die Beziehung belasten, finden auf dem Fahrradausflug, den Michael an Ostern organisiert, und im Schwimmbad statt. Daraufhin zieht Hanna aus ihrer Wohnung aus und verlässt die Stadt.
Nach seiner Schulzeit studiert Michael Jura und nimmt im zweiten Teil des Romans an einer Gerichtsverhandlung zum KZ-Prozess teil, wo er Hanna begegnet, die angeklagt ist. Ihr wird vorgeworfen, als Aufseherin zur SS gegangen zu sein, Frauen aus einer brennenden Kirche nicht gerettet und Selektionen durchgeführt zu haben. Außerdem soll sie schwache Mädchen, die ihr vorlasen, in Schutz genommen haben. Als Hanna eine Schriftprobe abgeben soll, findet Michael heraus, dass sie Analphabetin ist, worauf er mit seinem Vater redet, weil er nicht weiß, ob er dies dem Richter mitteilen soll. In einer der folgenden Wochen fährt Michael in ein KZ ins Elsaß, um sich ein Bild von den Grausamkeiten zu machen und beschließt, Hannas Analphabetismus geheim zu halten, worauf sie lebenslang verurteilt wird.
Im dritten Teil sind Michaels Gedanken und Gefühle durch das Geschehene betäubt und er lernt auf einer Skihütte Gertrud kennen, welche er heiratet und mit welcher er ein Kind bekommt. Diese Ehe endet jedoch schon nach kurzer Zeit mit der Scheidung. Außerdem stellt Michael sich die Frage, ob er auch schuldig ist, weil er Hanna geliebt hat, obwohl sie eine Verbrecherin ist.

Das zweite Kapitel des dritten Teils ist in zwei Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt (S. 164, Z. 1 - S.165, Z. 27) handelt davon, dass Michael erzählt, dass er Gertrud auf einer Skihütte kennengelernt hat. Als Gertrud mit Julia schwanger ist, heiraten sie. Michael hat Gertrud nie von Hanna erzählt, weil er dachte, sie wolle nichts von vorherigen, gescheiterten Beziehungen wissen. Nach kurzer Zeit wird die Scheidung eingereicht, weil Michael Gertrud immer mit Hanna vergleicht und ein Gefühl verspürt, dass irgendwas an Gertrud falsch sei. Michael fühlt sich schuldig, weil er, wegen der Scheidung seiner Tochter Julia Geborgenheit verweigert hat.
Im zweiten Handlungsabschnitt (S. 165, Z. 28 - S. 166 Ende) geht es darum, dass auch die späteren Beziehungen von Michael gescheitert sind, obwohl er sich eingestanden hat, dass diese der Beziehung zu Hanna ähneln sollten. Er versucht, seinen folgenden Lebensgefährtinnen von Hanna zu erzählen, gibt es aber wieder auf, weil er bei ihnen nur auf Unverständnis und Desinteresse stößt.

Michael wird in diesem Kapitel als sensibel und verletzlich dargestellt, weil es ihn sehr berührt hat, wenn er Julia nach einem Besuch zurücklassen musste und sie ihn dabei traurig angesehen hatte, was man an "wenn ich ging und sie aus dem Fenster sah und ich unter ihrem traurigen Blick ins Auto stieg, brach es mir das Herz" (S. 165, Z. 20ff.) erkennt.
Michael vergleicht seine Tochter mit einem "Fisch im Wasser" (S. 165, Z. 13), weil sie keinen Halt im Leben und eigentlich keine feste Bezugsperson hat. Außerdem könnte man annehmen, dass "Geborgenheit verweigerten" (S. 165, Z. 10) ein Euphemismus dafür ist, dass Michael und Gertrud ihre Tochter total vernachlässigt haben.
Desweiteren deutet es darauf hin, dass Michael ein unsicherer Mensch ist, weil er Gertrud nichts von Hanna erzählt hat ("Wer will, dachte ich, von den früheren Beziehungen des anderen hören, wenn er nicht deren Erfüllung ist?", S. 164, Z. 9 ff.). Dieses Zitat stellt eine rhetorische Frage dar, welche in diesem Kapitel eingesetzt werden, um die Unsicherheit Michaels zu verdeutlichen.
Außerdem wird Michael als nicht selbstbewusst dargestellt. weil er das Erzählen von Hanna in späteren Beziehungen doch wieder aufgibt und nicht zu seiner Vergangenheit steht, weil er die Geschehnisse verschweigt. Dies kann man an "so gab ich das Erzählen wieder auf." (S. 166, Z. 17 ff.) und "Weil die Wahrheit dessen, was man redet, das ist, was man tut, kann man das Reden auch lassen." (S. 164, Z. 18 f.) erkennen.
Gertrud wird als "gescheit, tüchtig und loyal" (S. 164, Z. 11 f.) dargestellt und Michael sagt, dass sie zusammen auch einen Bauernhof hätten führen können (S. 164, Z. 13 ff.). Nach der Beschreibung von Michael kann man annehmen, dass Gertrud Hanna nicht sehr ähnlich war.
Die folgenden Beziehungen mit Helen, einer amerikanischen Literaturwissenschaftlerin, mit Gesina, einer Psychoanalytikerin, und Hilke, einer Zahnärztin, sind gescheitert, weil diese kein Interesse oder kein Verständnis dafür hatten, dass Michael ihnen von Hanna erzählt hatte.

Die erzählte Zeit ist größer als die Erzählzeit, das heißt es liegt eine Zeitraffung vor. Dies bewirkt, dass verdeutlicht wird, dass die Auswirkungen der Beziehung zu Hanna Michaels gesamtes Leben begleiten werden und er keine richtige Beziehung führen kann.

Der Auszug des Romans (Teil III, Kapitel 2) ist in der Ich-Form geschrieben und Michael erzählt als erinnerndes Ich. Die Erzählform ist auktorial, weil Michael rückblickend reflektiert und resümiert, sich selbstkritisch hinterfragt (S. 164, Z. 9 ff.) und Distanz zum Erlebten hat.

In diesem Kapitel liegen teilweise sehr kurze, einfache Sätze vor, wie zum Beispiel "Ich habe als Referendar geheiratet." (S. 164, Z. 1), aber es kommen auch lange, verschachtelte Sätze, wie "Sie begriff lange nicht, was Scheidung bedeutet, und wollte, wenn ich zu Besuch kam, daß ich bleibe, und wenn sie mich besuchte, daß Gertrud mitkommt." (S. 165, Z. 17 ff.), vor.
Die Wortwahl ist in diesem Kapitel eher nüchtern und sachlich, was daran liegt, dass Michael eine distanzierte Erzählhaltung hat.

Die Konsequenzen der Beziehung zwischen Hanna und Michael für das gesamte Leben Michaels sind, dass er alle darauffolgenden Beziehungen mit der zu Hanna vergleicht ("Ich habe nie aufhören können, das Zusammensein mit Gertrud mit dem Zusammensein mit Hanna zu vergleichen", S. 164, Z. 19 f.). Dies bewirkt, dass er keine richtige Beziehung führen kann, weil er sich nicht mehr für neue Menschen öffnen kann und immer an Hanna erinnert wird, auch wenn er denkt, er habe mit seiner Vergangenheit abgeschlossen.
Michael hat häufig "das Gefühl, daß es nicht stimmt, daß sie nicht stimmt" (S. 165, Z. 1) und vergleicht auch seine Sinneseindrücke, wie Fühlen, Geruch und Geschmack, mit denen von Hanna, was wieder deutlich macht, dass er in seinen Gedanken noch immer bei ihr ist und nicht richtig loslassen kann.
Eine weitere Konsequenz könnte sein, dass Michael sich schuldig fühlt, weil er eine Verbrecherin geliebt hat ("Aber der Fingerzeig auf Hanna wies auf mich zurück. Ich hatte sie geliebt", S. 162).
Außerdem könnte Michael sich schuldig fühlen, weil er dem Richter nicht mitgeteilt hat, dass Hanna Analphabetin ist, obwohl er so verhindern hätte können, dass Hanna verurteilt wird. Desweiteren könnte man es als eine Konsequenz sehen, dass Michael immer die Schuld auf sich nimmt, weil er es so in der Beziehung mit Hanna gelernt hat. Dies könnte ihm ebenfalls irgendwann zum Verhängnis werden, weil er sich manchmal damit selbst benachteiligt oder es vorkommen kann, dass andere Menschen dies ausnutzen.

Damit kann die Deutungshypothese, dass Schuld eine zentrale Rolle spielt und dass die Beziehung zwischen Hanna und Michael Auswirkungen auf Michaels gesamtes Leben hat, bestätigt werden, da er sich schuldig fühlt, weil er Hanna geliebt hat und weil er jede andere Lebensgefährtin mit Hanna vergleicht und deshalb keine richtige Beziehung führen kann.
Der Autor möchte mit dem Roman aussagen, dass jeder auf irgendeine Weise Schuld trägt und dass eine Beziehung Auswirkungen, egal ob positiv oder negativ, auf das gesamte Leben haben kann.
Ich finde den Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink gut, weil gezeigt wird, dass die Erinnerung an einen geliebten Menschen immer bleiben wird, auch wenn er Schlechtes getan hat und man dadurch selbst einer psychischen Belastung ausgesetzt ist. Aus diesem Grund würde ich den Roman "Der Vorleser" jederzeit weiterempfehlen.